Stundenlang am Flughafen zu sitzen, ohne genau zu wissen, wann und ob überhaupt der Flieger noch abhebt, ist nervig. Oft steht euch bei Flugverspätung eine Entschädigung nach der EU Fluggastrechteverordnung zu. Während der Pandemie wurde zudem auch die Frage zum Klassiker, ob Airlines Ticketkosten erstatten müssen, wenn sie einen Flug annullieren. Ich fasse hier die wichtigsten Punkte mal zusammen.
Entschädigung bei Flugverspätung – Fluggastrechteverordnung
Fliegt ihr aus einem Mitgliedsland der Europäischen Union ab oder fliegt ihr aus einem Drittland mit einer Airline, die in einem EU- Mitgliedsstaat ansässig ist, zurück in die EU, greift die EU Verordnung 261/2004 in der die Fluggastrechte im Falle von Verspätungen, Annullierungen oder Stornierungen festgelegt sind. Neben den EU- Mitgliedsstaaten gilt die Verordnung auch in Island, Norwegen, Liechtenstein, der Schweiz sowie einigen europäischen Überseegebieten wie z.B. Martinique, Guadeloupe in der Karibik oder Madeira, den Kanaren oder Azoren.
Geregelt sind hinsichtlich der Verspätung einerseits Unterstützungsleistungen, die die Airline vor Abflug anbieten muss. Davon unabhängig sind Entschädigungsleistungen, auf die ihr einen Anspruch habt, wenn die Verspätung bei der Ankunft an eurem Zielort bestimmte Schwellenwerte überschreitet.
Unterstützungsleistungen vor Abflug (Abflugverspätung)
Anspruch auf Unterstützungsleistungen habt ihr, wenn der Flieger im Verhältnis zur geplanten Abflugzeit später abfliegt und zwar:
- um mehr als zwei Stunden,wenn die Flugentfernung weniger als 1500 km beträgt
- mehr als drei Stunden bei innergemeinschaftlichen Flügen über 1500 km und bei Flügen in Drittstaaten zwischen 1500 km und 3500 km
- um mehr als vier Stunden bei allen anderen Flügen
Die Unterstützungsleistungen sind überschaubar. Die Airline muss euch Gelegenheit geben, zwei Telefonate zu führen oder Emails zu schreiben – eine in Zeiten von Smartphones weitgehend überflüssige Regelung. Außerdem muss sie euch in angemessenem Umfang Mahlzeiten und Erfrischungen anbieten. Dies wird nur dann stattfinden, wenn von Anfang an klar ist, dass die Verspätung die entsprechenden Schwellenwerte reißen wird. Das weiß man aber nur, wenn der Flieger noch in der Luft ist und mindestens zwei Stunden bis Eintreffen brauchen wird.
Ich persönlich bleibe einfach länger in der Lounge, wenn der Flug bereits als verspätet gekennzeichnet ist. So spare ich mir die Diskussion mit gestresstem Bodenpersonal über den Umfang von Mahlzeiten, die zur Verfügung gestellt werden müssen. Wer keinen Lounge- Zutritt hat und von der Airline keine Verpflegung angeboten bekommt, kann sich in angemessenem Umfang selbst verpflegen und der Airline die Rechnung schicken.
Verspätet sich der Abflug auf den nächsten Tag, z.B. weil ein Nachtflugverbot besteht, muss euch die Airline auch die Übernachtungskosten sowie die Fahrtkosten ins Hotel bezahlen.
Verspätet sich der Flug um mehr als fünf Stunden, könnt ihr auch vom Vertrag zurücktreten und die volle Erstattung der Ticketkosten fordern. Das wird immer dann der Fall sein, wenn sich der Grund eures Fluges durch die Verspätung erledigt hat, ihr z.B. einen Geschäftstermin verpasst habt. Je nach Dauer des Fluges und Kosten des Tickets kann es Sinn machen, den Flug trotzdem anzutreten, weil ihr nur dann Anspruch auf Entschädigung geltend machen könnt.
Entschädigung bei verspäteter Ankunft
Während für die Unterstüzungsleistungen die Dauer der Verspätung bei Abflug maßgebend ist, kommt es für die Entschädigungszahlung auf die Flugverspätung bei Ankunft am Zielort an. Die Verspätung ist fast nie die gleiche. Gerade auf Langstreckenflügen bauen Airlines fast immer einen Puffer ein, der nie ausgeschöpft werden muss, wenn der Wind günstig weht. So können aus vier Stunden Verspätung bei Abflug plötzlich nur noch zweieinhalb Stunden Verspätung bei Ankunft werden. Als Ankunftszeit gilt der Moment, wenn die Bordtür geöffnet wird.
Anspruch auf Entschädigungsleistungen nach der Fluggastrechtverordnung habt ihr ab einer dreistündigen Verspätung nach folgender Maßgabe:
- weniger als 1500 km: 250 Euro
- Bei innergemeinschaftlichen Flügen über 1500 km und bei Flügen in Drittstaaten zwischen 1500 km und 3500 km: 400 Euro
- bei allen anderen Flügen: 600 Euro
Flugverspätung: Entschädigung bei höherer Gewalt?
Was auch immer der wahre Grund für die Verspätung gewesen sein mag: Wenn ihr mit eurer Entschädigungsforderung an die Airline herantretet, wird sie mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit behaupten, es habe “höhere Gewalt” vorgelegen. Tatsächlich sieht die EU- Fluggastrechteverordnung keine Entschädigung bei Fällen höherer Gewalt vor. Doch längst nicht alles, was Airlines als höhere Gewalt verkaufen wollen, ist auch tatsächlich höhere Gewalt.
Höhere Gewalt sind außergewöhnliche Umstände, die sich auch dann nicht hätten verhindern lassen, wenn die Airline alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hätte. Das trifft vor allem auf Dinge zu, die eine Airline nicht beeinflussen kann: das Wetter ist der Klassiker oder Überlastung im Luftraum. Das sind aber zum Glück Dinge, die man sehr gut nachverfolgen kann, weil es darüber Aufzeichnungen gibt. Wenn die Airline sagt, die Verspätung sei durch heftige Windböen verursacht, aber das Wetteramt hat nur leichte Brisen aufgezeichnet, dann wird die Airline sich hier nicht hinter verstecken können.
Während der aktuellen Corona- Pandemie gehen die Gerichte großteils davon aus, dass es sich bei einer Pandemie um höhere Gewalt handelt. Dies muss man wohl so hinnehmen, obwohl das im Einzelfall auch nicht ganz schlüssig ist, denn die Pandemie läuft ja schon eine ganze Weile und die Airlines haben sich darauf auch eingestellt.
Erstattung von Ticketkosten bei Annullierung eines Flugs
In jedem Fall ist von dem Anspruch auf Entschädigung bei Flugverspätung die Pflicht der Airlines zu trennen, die Kosten für das Flugticket zu erstatten. Bei dem Anspruch auf Erstattung der Flugkosten wegen Annullierung kommt es nicht darauf an, warum die Airline den Flug storniert hat.
Eine Entschädigung gibt es zwar nur, wenn die Airline die Stornierung zu verantworten hat, doch den Flugpreis muss sie in jedem Fall erstatten. Das wissen die Airlines natürlich auch und da ist die EU- Fluggastrechteverordnung auch eindeutig. Ihr habt nach Art. 8 der VO 261/2004 Anspruch auf entweder
- kostenfreie Umbuchung auf einen Flug eurer Wahl oder
- Erstattung des vollen Flugpreises
Die Erstattung des vollen Flugpreises muss auf demselben Wege erfolgen wie die Zahlung – also durch Rückbuchung auf eure Kreditkarte oder Rücküberweisung. Nicht statthaft ist dagegen, die Erstattung eigenmächtig in einer anderen “Währung”, z.B. einem Gutschein auszuzahlen. Wer sich mit einem Gutschein zufrieden geben möchte, kann das natürlich tun – Anspruch habt ihr aber auf Auszahlung des Flugpreises in Geld.
Erstattungsanspruch bei Buchung über OTA
Ein echter Klassiker seit Ausbruch der Corona- Pandemie ist die Frage, an wen man sich als Passagier wenden muss, wenn man nicht über die Airline direkt gebucht hat sondern über eine Online Travel Agency (OTA) wie Expedia, Travelgenio etc. Viele Airlines verweisen beharrlich an den Reisevermittler, obwohl der Anspruch auf Erstattung des Flugpreises bei Annullierung des Fluges durch die Airline in der EU Fluggastrechteverordnung EU 261/2004 ganz klar geregelt ist: Der Anspruch auf Erstattung besteht gegen die Airline und nicht den Vermittler. Entsprechend hat man sich als Passagier auch nicht an den Vermittler verweisen zu lassen, sondern kann die Erstattung des Flugpreises direkt bei der Airline geltend machen.
Viele Airlines haben die Erstattung in der Vergangenheit mit dem Verweis auf den Buchungskanal abgelehnt und an den Reisevermittler verwiesen. Gleichzeitig haben dieselben Airlines das bestehende Abrechnungssystem mit den Reiseagenturen deaktiviert, so dass die automatisierte Erstattung gar nicht mehr möglich war.
Nun hat Eurowings vor dem LG Düsseldorf eine Einstweilige Verfügung kassiert, die es der Airline untersagt, für die Erstattung von annullierten Flügen an eine OTA zu verweisen. Das Verfahren war von der sehr aktiven Verbraucherzentrale Nordrhein- Westfalen initiiert worden, die Eurowings zunächst abgemahnt und dann verklagt hatte.
Es darf im Übrigen auch weiterhin über das Reisebüro erstattet werden – es darf nur der Passagier nicht rechtswidrig an das Reisebüro verwiesen werden, wenn er eine Erstattung von der Airline fordert (Az. 12 O 160/20).
Airline annulliert Flug – Umbuchung auf Flug eurer Wahl
Alternativ habt ihr übrigens auch das Recht, euch auf einen Flug EURER Wahl umbuchen zu lassen. Art. 8 der Fluggastrechteverordnung beschränkt diessen Anspruch auch nicht auf Flüge mit der ausführenden Airline. Wenn euer Lufthansa- Flug von München nach Paris gestrichen wird, könnt ihr also auch verlangen, dass ihr auf einen Air France Flug umgebucht werdet. Auch sieht die VO 261 keine Beschränkung auf die gleiche Buchungsklasse vor. Wenn ihr also einen Flug von Frankfurt nach New York in der günstigen Buchungsklasse P gebucht habt, kann euch die Umbuchung auf einen späteren Flug nicht mit der Begründung verweigert werden, P sei schon ausgebucht. So lange es in der gleichen Reiseklasse noch einen freien Sitzplatz gibt, muss euch dieser ohne Tarifdifferenz angeboten werden.
Anders sieht die Sache natürlich dann aus, wenn ihr selbst den Flug stornieren möchtet. In diesem Fall gelten die Stornierungsbedingungen der Airlines. Diese sind auch Anfang 2022 noch kulanter als vor der Pandemie. Allerdings muss man sich hier mit dem zufrieden geben, was die Airline freiwillig anbietet.
Urteil zur Umbuchung nach Annullierung
Das Urteil betrifft ebenfalls einen Klassiker: die Praxis mancher Airlines, bei Umbuchung nach einer Annullierung durch die Airline eine Flugpreisdifferenz vom Passagier zu verlangen.
Die Idee hinter dieser Praxis ist die folgende: Der Passagier hat z.B. für 800 Euro einen Flug von Frankfurt nach New York für den 01.07. gebucht, der aufgrund von Reisebeschränkungen von der Airline annulliert wird. Statt den Flugpreis zurückzufordern, macht der Passagier von seinem Recht auf Umbuchung auf einen späteren Zeitpunkt nach Artikel 8 der Fluggastrechteverordnung Gebrauch und möchte nun am 18.12. fliegen. Für den Termin sind auch Flüge verfügbar, doch kosten diese nun 900 Euro. Die Airline berechnet dem Passagier also die Differenz von 100 Euro.
Diese Praxis ist rechtswidrig. Der Passagier hat Anspruch auf Beförderung in der gleichen Reiseklasse zu einem späteren Zeitpunkt seiner Wahl ohne Aufpreis. Eine entsprechende Einstweilige Verfügung gegen die Lufthansa aus dem Mai 2020 ist mit Urteil vom 22.09.20 (Az. 31 O 85/20) vom LG Köln bestätigt worden.
Man muss dabei bedenken, dass sich die Differenzen bei einem Economy- Ticket vielleicht „nur“ im zweistelligen Bereich bewegen. Bei einem First Class- Ticket hatte die Lufthansa dagegen in einem Fall offenbar gar eine Differenz von 3000 Euro eingefordert.
Mehr zu aktuellen Urteilen über Flugpreiserstattungen findet ihr beim Verbraucherrechtsanwalt Dr. Matthias Böse.
Annullierung von Flügen mit USA- Bezug
Hat euer von der Airline annullierter Flug einen Bezug zur USA – startet oder landet also dort – könnt ihr auch eine Beschwerde beim DOT einreichen. Das Department of Transportation in den USA hatte während der Corona- Pandemie Airlines sehr deutlich auf ihre Erstattungspflicht hingewiesen.
Diese Verpflichtung haben nicht nur US- Airlines wie American Airlines, United oder Delta sondern alle Airlines, die in die USA fliegen oder von dort abfliegen. Wenn also euer USA- Flug gecancelt wurde, könnt ihr neben Ansprüchen aus der EU Verordnung 261/2004 auch Beschwerde beim DOT einreichen. Das Department of Transportation kann Airlines anders als der EU Kommissar auch sanktionieren.
Und weil die Stellungnahme des DOT so erfrischend eindeutig war, ist sie hier noch mal im Original:
Carriers have a longstanding obligation to provide a prompt refund to a ticketed passenger when the carrier cancels the passenger’s flight or makes a significant change in the flight schedule and the passenger chooses not to accept the alternative offered by the carrier. The longstanding obligation of carriers to provide refunds for flights that carriers cancel or significantly delay does not cease when the flight disruptions are outside of the carrier’s control (e.g., a result of government restrictions).
The focus is not on whether the flight disruptions are within or outside the carrier’s control, but rather on the fact that the cancellation is through no fault of the passenger.
Accordingly, the Department continues to view any contract of carriage provision or airline policy that purports to deny refunds to passengers when the carrier cancels a flight, makes a significant schedule change, or significantly delays a flight to be a violation of the carriers’ obligation that could subject the carrier to an enforcement action.
Flugverspätung Entschädigung: Wie setzt ihr eure Rechte durch?
Um fair zu sein, muss man sagen, dass die großen arrivierten Airlines zumindest bei den klaren Fällen auch umstandslos entschädigen. Probleme machen vor allem die Billigflieger, in deren Kalkulation solche Dinge wie Verbraucherrechte schlicht nicht vorkommen. Ryanair gilt als relativ hartnäckiger Verweigerer. In diesen Fällen wird man ohne Hilfe nicht weiterkommen. Wer eine Rechtsschutzersicherung hat, die solche Fälle abdeckt, sollte sich einen Anwalt nehmen, der sich mit solchen Fällen auskennt.
Wer keine Rechtsschutzversicherung hat, kann auf einen der Rechtsdienstleister zurückgreifen, die gegen eine prozentuale Provision das Geld für euch einklagen. Bedenkt dabei, dass die meisten Dienstleister in der Regel nur die sicheren Fälle übernehmen.
Entschädigung bei Flugverspätung und Annullierung – Fazit
Um seine Rechte wahrnehmen zu können, muss man sie erst mal kennen. Ich hoffe, dass dieser Artikel euch einen kleinen Pfad durch den Dschungel an Gesetzen und Verordnungen geschlagen hat. Im Übrigen muss man natürlich nicht jedes Recht auch in jedem Fall durchsetzen. Es gibt Vielflieger, deren Loyalität so weit geht, dass sie NIEMALS etwas einfordern würden, was ihnen zusteht. Teilweise aus Angst, dass die Airline in den Ruin getrieben oder als sofortige Sparmaßnahme Gummibärchen in der Lounge gestrichen würden. Ich halte es so, dass ich nicht das Letzte rausholen muss, wenn ich von der Airline freundlich behandelt und umfassend informiert werde. So bin ich bisher gut durch die Pandemie gekommen.
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